Wie Deutschland bis 2035 CO2-neutral werden kann

Ich muss ja zugeben, als ich diesen Blog gestartet habe, hatte ich eher die Dinge im Fokus, die jede*r im eigenen Alltag ändern kann. Mittlerweile fuchse ich mich mehr und mehr in die großen Themen rein, insbesondere Umweltpolitik. Was ich dabei lerne, ist teilweise erschreckend, teilweise aber auch Mut machend. Und mir wird klar: Es geht um deutlich mehr als etwas Zero Waste oder mal zum Bio-Obst greifen. Vor allem lässt sich die Klimakrise nicht auf einzelne Konsumenten abwälzen (und damit privatisieren), sondern braucht mutige politische Entscheidungen. Heute möchte ich dir eine Studie vorstellen, die Fridays for Future beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in Auftrag gab und welche vor einem Monat publiziert wurde. In der Studie geht es um die Frage, was überhaupt nötig ist, damit Deutschland bis 2035 CO2-neutral wird und damit seinen Teil zum 1,5°C-Ziel schafft. Am Montag hatte ich im Rahmen der Public Climate School, welche von Students for Future organisiert wurde, die Gelegenheit, Dr. Georg Kobiela bei der Präsentation der Studie zu lauschen. Was ich dabei gelernt habe, möchte ich dir heute vorstellen. Los geht’s!

Worum geht’s in der Studie?

Hintergrund ist die Aussage des Weltklimarats IPCC (International Panel on Climate Change), dass die weltweite Erwärmung unter 1,5°C gehalten werden muss, um katastrophale Folgen des Klimawandels zu verhindern. Im Pariser Abkommen von 2015 ist dies als Stretch-Ziel formuliert. Das Ziel ist dort, die Erwärmung deutlich unter 2°C zu halten, mit Anstrengung für 1,5°C. Fridays for Future fordert explizit die Einhaltung des 1,5°C-Ziels und CO2-Neutralität in Deutschland bis 2035. Die Frage ist – wie lässt sich das erreichen, wie kann Deutschland bis 2035 CO2-neutral werden?

Dafür hat Fridays for Future das Wuppertal Institut mit einer Studie beauftragt. Dabei handelt es sich jedoch nicht, wie meist dargestellt, um eine Machbarkeitsstudie. Für eine Machbarkeitsstudie im eigentlichen Sinne fehlt eine Hindernisanalyse sowie ein grober Pfad zum Ziel.

Untersucht wurde, was nötig ist, um das 1,5°C-Ziels mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% einzuhalten. Dafür muss Deutschland bis 2035 klimaneutral sein und die wesentlichen Bereiche Industrie, Verkehr, Gebäude und allgemein Energie klimaneutral aufstellen. Das Ziel und die Maßnahmen sind laut Wuppertal Institut sehr ambitioniert, jedoch erscheint es technisch und ökonomisch möglich – es bedarf jedoch schnell zu handeln und alle nötigen Maßnahmen, die teilweise bereits eingeplant sind und von diversen Studien vorgeschlagen werden, vorzuziehen und zu intensivieren.

Deutschland bis 2035 CO2-neutral machen

Die Studie zieht zunächst als globales Budget die Zahlen aus Studien des IPCC heran und berechnet daraus ein Budget für Deutschland. Dabei wird ein Pro-Kopf-Ansatz gewählt, das heißt für jede Person auf der Welt gilt dasselbe CO2-Budget, ungeachtet dessen, dass im globalen Norden deutlich mehr CO2 verbraucht wird als im globalen Süden. Das so ermittelte Budget für Deutschland beträgt lediglich 4,2 Gigatonnen CO2. Würden wir unseren Verbrauch in 2019 konstant halten, so wäre das Budget bereits in 6 Jahren aufgebraucht! 2026 wäre dann Ende im Gelände.

Das 2019 von der Bundesregierung festgelegte Klimaschutzgesetz orientiert sich an Klimaneutralität bis 2050 und sieht dafür eine lineare Senkung vor. Das Wuppertal Institut skizziert einen wesentlich ambitionierteren Pfad mit drastischen Einschnitten in den ersten Jahren mit etwas Puffer hintenraus für Bereiche, die schwerer zu transformieren sind, jedoch mit klarem Ziel: Netto-Null bis 2035. Die Grafik zeigt den beispielhaften CO2-Emissionspfad zur Einhaltung des deutschen 1,5-Grad-Budgets bis 2035, inklusive des Zielpfads der Bundesregierung.

CO2-Emissionspfad
Die Grafik zeigt den beispielhaften CO2-Emissionspfad zur Einhaltung des deutschen 1,5-Grad-Budgets bis 2035, inklusive des Zielpfads der Bundesregierung. Quelle: Wuppertal Institut auf Basis des Sachverständigenrast für Umweltfragen (SRU), 2020
CO2-EmissionsPfad. Quelle: Wuppertal Institut auf Basis des Sachverständigenrast für Umweltfragen (SRU), 2020

Um eine Chance zu haben, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, müssten die deutschen Emissionen insbesondere in den kommenden fünf Jahren – und damit vor allem in der nächsten Legislaturperiode – dramatisch abnehmen.

Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts

Als Schlüsselfaktoren werden die Bereiche Industrie, Verkehr, Gebäude und natürlich Energie beleuchtet. Diese machen insgesamt ca. 90% der CO2-Emissionen in Deutschland aus. Die Landwirtschaft wird nicht explizit mit berücksichtigt, jedoch bedarf es auch hier ähnlich drastischer Transformationen.

Industrie

Der Bereich Industrie macht insgesamt 23% der CO2-Emissionen in Deutschland aus und gliedert sich in die drei großen Bereiche Eisen & Stahl, Zement sowie Chemie. Die Herausforderungen sind hier:

  • Anlagen müssen auf klimaveträgliche Technologien umbauen und bis 2035 auf nicht-fossile Energie umgestellt sein
  • CO2 und andere Ressourcen sollten im Kreislauf geführt werden (Cradle-to-Cradle lässt grüßen). So ließen sich 30-50% der Emissionen bzw. Energie einsparen.
  • Es braucht eine sehr gute Wasserstoffversorgung, also einen starken Ausbau der Wasserstoffpipelines.
  • Um klimaverträgliche Schlüsseltechnologien attraktiv zu machen, braucht es einen hohen CO2-Preis welcher ansteigt. Ein guter Ausgangspunkt läge bei 180 €/tCO2.
  • Um Abwanderung der Industrie in weniger stark regulierte Länder zu vermeiden braucht es Carbon Leakage Schutzmaßnahmen.

Verkehr

Der Bereich Verkehr macht in Deutschland ca. 20% der CO2-Emissionen aus. Verkehr muss vor allem maßgeblich verringert und verlagert werden. Problematisch ist insbesondere der Auto- und Lkw-Verkehr. Zu den Herausforderungen zählen hier:

  • Der Autoverkehr muss erheblich reduziert werden, und zwar um ca. 50% der Auto-Personenkilometer. Stattdessen bedarf es an Investitionen z.B. in Bahn und Radwege. Auch verstärkte Telearbeit oder Konzepte wie die “Stadt der kurzen Wege” können Lösungsansätze sein.
  • Es braucht eine Antriebswende: Klassische Verbrennermotoren müssen durch Elektro- oder Wasserstoffantrieb umgestellt werden.
  • Abschaffung klimaschädlicher Subventionen z.B. in Form der Pendlerpauschale oder Dienstwägen, wobei hier insbesondere soziale Gerechtigkeit mit berücksichtigt werden muss (z.B. benötigen ja auch viele Menschen ein Auto, weil der Wohnraum in der Stadt einfach nicht mehr erschwinglich ist).
  • Keine neuen Landstraßen mehr bauchen, stattdessen Investitionen in Bahn und Radwege. Mit jeder neuen Straße steigt das Verkehrsaufkommen, was kontraproduktiv wäre.
  • Güterverkehr auf die Bahn bringen.
  • Alle innerdeutschen Flüge streichen und stattdessen ein gutes Bahnnetz ausbauen.
  • Internationalen Flugverkehr reduzieren und Restemissionen durch CO2-Senken ausgleichen, da beim Flugverkehr nicht in Aussicht ist, diesen emissionsfrei zu betreiben.
  • Hohen CO2-Preis einführen, um klimaschädliche Verkehrsmittel zu verteuern.

Gebäude

Es bedarf einer Wärmewende, denn rund 15% der deutschen CO2-Emissionen stammen aus dem Bereich Heizen. Nimmt man die nötige Energie mit dazu, sind es sogar 30%. Nötige Maßnahmen sind hier:

  • Suffizienz: Der Pro-Kopf-Wohnraum muss sinken, also effektiv benötigen wir weniger Wohnraum pro Person. Wohnraum sollte bedarfsgerecht organisiert werden.
  • Effizienz: Gebäude müssen sinnvoll gedämmt und geheizt werden.
  • Konsistenz: Es gilt, auf Wärmepumpen oder allgemein nachhaltigere Heizmethoden umzusteigen. Zeitnah ist es nötig, ca. 60-80% der Heizungen auf Wärmepumpen umzustellen und den Rest mit Nah- und Fernwärme zu versorgen.
  • Fossile Heizungen machen derzeit 80% aus. Eine Maßnahme könnte sein, weitere fossile Heizungen zu verbieten.
  • Damit einher geht eine Sanierungsrate von 4% der Gebäude pro Jahr! Derzeit liegt dies bei nur 1%. Es könnte beispielsweise eine verpflichtende Sanierung bei Kauf oder Erbe vorgesehen werden.
  • Das heißt es muss auch massiv an Fachpersonal aufgebaut werden, um dies zu stemmen.

Energiewirtschaft

Die Energiewende bildet quasi die Grundlage der obigen Transformationen und ist essentiell. Es gilt vor allem:

  • Die Wasserstoffversorgung muss massiv ausgebaut werden. Es ist nötig, bis 2035 eine Kapazität von 70-90 Gigawatt aufzubauen. Zusätzlich muss massiv in das Wasserstoffnetz investiert werden.
  • Ausbauziele der erneuerbaren Energien müssen auf 25 Gigawatt pro Jahr gesteigert werden – das ist mehr als doppelt soviel, wie die Bundesregierung es derzeit vorsieht.
  • Vor allem Windenergie sollte on-shore (also auf dem Land) stark ausgebaut werden.

Ein ganz schönes Brett…

Puh! Da bin ich erstmal platt. Allein genommen sind das schon ganz schöne Maßnahmenkataloge, aber alles zusammen in weniger als 15 Jahren? Die nächste Legislaturperiode wird hier entscheidend sein, um Deutschland bis 2035 CO2-neutral zu stellen. Also Augen auf beim Wahlgang. Es gibt viel zu tun und es lohnt sich, die Ärmel hoch zu krempeln und ans Werk zu gehen. Ich jedenfalls habe große Lust, meinen Teil beizutragen – in welcher Form auch immer. Nun, ein erster Schritt ist, mich zu informieren und dich gleich mit ;). Und dann schauen wir mal!

Wenn dir die Darstellung der Lösungsansätze etwas zu knapp ist, findest du eine Fülle an Ideen mit Hintergrundinformationen im Buch Ökoroutine – Damit wir tun, was wir für richtig halten. Der Autor Michael Kopatz arbeitet ebenfalls im Wuppertal Institut und viele seiner dort präsentierten Ansätze decken sich mit der Studie bzw. dem Vortrag von Dr. Georg Kobiela.

Mehr Infos

…Findest du hier:

Wuppertal Institut Studie

Zusammenfassung Fridays for Future

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