Woran denkst du, wenn du “Finanzbranche” hörst? An Anzugträger und Frauen im schicken Kostüm, die sich durch den Hochhausdschungel in Frankfurt schlängeln, mit einem Coffee-to-go-Becher in der Hand? Vorstände, die gierig ihre Millionen zählen? Die Finanzierung dreckiger Machenschaften? Undurchsichtige Finanzinstrumente? Steuergeld-fressende, Wirtschaft-vernichtende Krisen? Die Finanzbranche hat hier und da einen Knacks im Ruf bekommen. Genau genommen ist sie schon immer etwas misstrauisch beäugt worden, wenn man sich in der Geschichte so umschaut. Umso positiver, dass gerade ein (mehr oder weniger großer) Ruck durch die Finanzwelt geht: Der Ruf nach einer weitsichtigeren, zukunftsorientierten, nachhaltigen Finanzbranche wird laut. Dafür steht Sustainable Finance.
Sustainable Finance – Darum geht’s
Bei Sustainable Finance geht es laut der EU darum, die sogenannten ESG-Faktoren in die Investment-Entscheidungen zu integrieren: Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (gute Unternehmensführung). Dadurch sollen langfristige Investments in nachhaltige Bereiche gefördert werden.
Im Beitrag zum Podcast Masters of Change hatte ich bereits über Kristina Jeromin berichtet. Kristina, Philosophin, weiblich, unter 40, mischt die männer-dominierte, Profit-orientierte Finanzwelt ordentlich auf. Ihre Vision ist eine nachhaltige Finanzbranche. Sie arbeitete bei Deutsche Börse als Head of Group Sustainability, ist Geschäftsführerin des Green and Sustainable Finance Cluster Deutschland und ist Teil des Sustainable Finance Beirats der Bundesregierung. Gerade kandidiert sie für die Grünen, Ziel: Bundestag. Das Interview mit Kristina gibt einen guten Einblick in das Thema Sustainable Finance und bei der darauf folgenden Q&A-Session konnte ich Kristina auch direkt fragen: Was braucht es denn deiner Meinung nach seitens der Politik, um Sustainable Finance als Standard zu etablieren? Was sie darauf geantwortet hat, verrate ich dir gleich. Vorher müssen wir uns erstmal anschauen, was überhaupt die Probleme sind, die es zu lösen gilt. Einige davon stellt Kristina im Podcast vor:
Der wahre Preis
Externe Kosten wie z.B. das Lagern von CO2 in der Atmosphäre und die daraus resultierende Erderhitzung und Klimakrise, tragen derzeit nicht die Verursacher, sondern die Gemeinheit. Diese sind zu internalisieren, konkret zum Beispiel durch einen ausreichend hohen CO2-Preis. Analog lassen sich andere Beispiele finden, bei denen Kosten für Mensch und Umwelt durch die Verursacher zu tragen sind, statt diese einfach zu externalisieren, sprich: abzuwälzen.
Das wahre Risiko
Dazu kommt, dass Risiken wie z.B. resultierend aus der Klimakrise, unzureichend ermittelt werden. Auch andere Bereiche wie Menschenrechtsverletzung bergen Risiken, z.B. in Form von Reputationsschäden bei Bekanntwerden. Banken, Investmentgesellschaften etc. müssen über derartige Risiken in ihrem Portfolio Bescheid wissen, statt sich mit wenigen Finanzkennzahlen abzugeben. Auch Unternehmen sollten sich die Frage stellen, was es für sie und ihr Geschäftsmodell bedeutet, wenn die Erderwärmung über 1,5°C ansteigt. Und dies auch ihren Stakeholdern gegenüber transparent machen.
Transparenz in der Lieferkette
Angeblich ist es den Unternehmen nicht möglich, ihre komplette Wertschöpfungs- und Lieferkette zu kennen und dementsprechend können sie nicht darauf einwirken, dass Normen in Sachen Menschenrechte oder Umweltschutz eingehalten werden. Dass das quatsch ist, zeigen viele kleine Unternehmen, die das besser machen und zu 100% ihre Lieferketten kennen.
Transformation braucht Geld
Oft liest man, dass “Divesting” als Nachhaltigkeitsstrategie empfohlen wird. Das bedeutet Geld von kritischen Unternehmen, z.B. solche die viel CO2 ausstoßen, abzuziehen. Also beispielsweise nicht in große Ölkonzerne zu investieren. Hier warnt Kristina explizit, dass in Deutschland sehr viele große CO2-emittierende Unternehmen und Industrien sitzen und man denen nicht einfach den Geldhahn zudrehen kann. Stattdessen ist es wichtig, diese auf dem Weg zu einem nachhaltigen Unternehmen durch entsprechende Finanzierung zu begleiten und damit eine Transformation zu ermöglichen.
Und was ist dafür nötig?
Also zurück zu der Frage: Was braucht es denn von der Politik, um Finanzen nachhaltig zu machen? Kristina fasst drei Aspekte bzw. konkrete Vorschläge zusammen:
- Transparenz: Es braucht einen Standard an Informationen, über welche zu berichten ist.
- Risk Management: Es braucht regulatorische Anpassungen bei der Risikoberichterstattung anhand von mindestens zwei Szenarien: Das 1,5°C-Ziel wirdgeschafft oder nicht geschafft.
- Höherer Stellenwert von Nachhaltigkeit in der Vorstandsvergütung: Einfach aber wirkungsvoll wäre, die Vorstandsvergütung auch am Erreichen von Nachhaltigkeitszielen zu messen, und dies zur Pflicht zu machen.
Oki doki, das klingt nachvollziehbar. Schauen wir uns mal in der Politik um, was da so alles passiert.
Sustainable Finance in der EU
Wie die EU Sustainable Finance definiert, habe ich oben bereits erwähnt. Bedeutend ist Sustainable Finance auf EU-Ebene als unterstützendes Instrument, um die Ziele des Green Deals umzusetzen. Geld soll das Wirtschaftswachstum finanzieren, gleichzeitig die Umwelt entlasten, unter Berücksichtigung sozialer Aspekte und guter Unternehmensführung. Außerdem ist es wichtig, dass Transparenz gefördert wird, um Risiken in Bezug auf die ESG-Kriterien aufzuzeigen. Die so aufgezeigten Risiken sind dann wiederum zu mindern.
Sustainable finance at EU level aims at supporting the delivery on the objectives of the European Green Deal by channelling private investment into the transition to a climate-neutral, climate-resilient, resource-efficient and just economy, as a complement to public money.
EU, Overview of sustainable finance
Seit 2016 arbeitet die EU verstärkt an dem Thema und gab im März 2018 den “Action Plan on Sustainable Finance” heraus. Kernziele des Action Plans sind, Kapitalmarktströme in nachhaltige Wirtschaftszweige fließen zu lassen, Nachhaltigkeitskrtiterien im Risk Management zu verankern sowie Transparenz und Langfristikeit zu erhöhen. Im Rahmen des Green Deals brauchte es dann eine Überarbeitung des Plans, um den Green Deal zu unterstützen.
Klassifizierungssystem für nachhaltige Investments
Eine interessante Implementierung ist das EU-weite Klassifikationssystem zur Bestimmung, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist, Taxonomie genannt. Dieses trat im Juli 2020 in Kraft und beinhaltet die folgenden Umweltziele der EU:
- Klimaschutz,
- Anpassung an den Klimawandel,
- nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen,
- Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,
- Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und
- Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.
Damit wird nicht erzwungen, in grüne Bereiche zu investieren, jedoch mehr Transparenz geschaffen, ob eine Anlage gemäß EU-Definition ökologisch ist oder nicht.
Sustainable Finance in Deutschland
Sustainable Finance Beirat
Hier hinkt Deutschland der EU etwas hinterher, das Thema Sustainable Finance wurde erst 2019 so richtig aufgegriffen, indem der Sustainable Finance Beirat implementiert wurde. Dieser hat den Auftrag, Empfehlungen zu entwickeln, damit Deutschland zu einem führenden Sustainable-Finance-Standort wird. Der finale Bericht wird im ersten Quartal 2021 veröffentlicht.
Green and Sustainable Finance Cluster Deutschland
Auch innerhalb der Finanzbranche tut sich einiges. 2018 haben sich die Accelerating Sustainable Finance Initiative der Deutschen Börse und das Green Finance Cluster Frankfurt des Hessischen Wirtschaftsministeriums zusammengeschlossen zum Green and Sustainable Finance Cluster Deutschland. Dadurch soll die Kompetenz innerhalb der Branche gebündelt und und zugänglich gemacht werden. Das Cluster versteht sich als Netzwerk und zentraler Ansprechpartner für Finanz-und Risikofragen in Sachen Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Das Cluster hat auch aktiv die oben erwähnte EU Taxonomie vorangetrieben, denn eines ihrer Themen ist auch die Etablierung und Standardisierung von Metriken zur Ermittlung relevanter Kennzahlen.
Selbstverpflichtung zum Klimaschutz
Im Juni 2020 haben außerdem 16 große Akteure aus dem deutschen Finanzsektor eine Selbstverpflichtung zum Klimaschutz unterzeichnet. Darunter sind neben den typischen Nachhaltigkeitsbanken wie GLS Bank, Triodos Bank, Umweltbank und kirchlichen Banken auch traditionelle Großbanken wie die Commerzbank, Deutsche Bank oder LBBW zu finden.
Wir vereinbaren mit dieser gemeinsam entwickelten Selbstverpflichtung, unsere Kredit- bzw. Investmentportfolien im Einklang mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens auszurichten und durch die Finanzierung der Transformation hin zu einer emissionsarmen und klimaresilienten Wirtschaft und Gesellschaft, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen und das 1,5 Grad Ziel anzustreben.
Klimaschutz-Selbstverpflichtung des Finanzsektors
Sustainable Finance – Das kannst du tun
Jeder ist irgendwo investiert, und sei es in Form eines Girokontos bei der Hausbank. Vielleicht liegt dein Geld auch auf einem Depot in Form von Aktien und Fonds, auf einem Tagesgeldkonto, oder bei der Versicherung. Frag doch einfach mal nach, wie sie es mit der Nachhaltigkeit halten. Das Argument, dass sich nachhaltige Investments nicht lohnen, wurde übrigens durch eine Studie revidiert.
Du bist mit der Antwort nicht zufrieden? Dann schau doch mal im Beitrag zu Nachhaltige Banken, was es für Alternativen gibt. Vielleicht lohnt sich ja ein Wechsel.
Quellen
https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/nachhaltigkeitspolitik
Ein Gedanke zu „Sustainable Finance“