Kennst du diese Momente, wenn du von etwas hörst und dir denkst: “Wow, das ist es. Das ist die Antwort auf meine Fragen, das löst so viele Probleme!” Als ich das erste Mal von Cradle to Cradle (kurz C2C) gehört habe, ging es mir genau so. Seitdem beschäftige ich mich mehr mit dem Thema und möchte es auch dir nicht vorenthalten. Dieser Denkansatz begeistert mich einfach in seiner Radikalität, Progressivität, Einfachheit und vor allem, weil es endlich mal eine positiv formulierte Antwort auf die Klimakrise ist. Neugierig geworden? Los geht’s!
Die Denkschule
Essenz der Cradle to Cradle Denkschule ist es, den Menschen als einen Nützling zu sehen. Oftmals sehen wir uns selbst als die Wurzel allen Übels, als das Problem schlechthin auf dieser Welt. Ohne den Menschen wäre die Erde, die Natur doch viel besser dran. Wir verpesten unsere Luft, verseuchen unser Wasser, vergiften unsere Böden, rotten Arten aus und produzieren vor allem eins: Müll, Müll und noch mehr Müll. Er ist kaum zu übersehen, einfach überall. Die Folge ist, dass wir uns selbst als Schädling sehen und versuchen, basierend auf dieser Weltsicht, den Schäden zu begrenzen. Ein bisschen weniger schlecht sein. Verzichten wo möglich.
Aber muss das denn sein?
Schauen wir uns mal im Tierreich um. Und zwar bei den ganz kleinen Tieren, den Ameisen. Ameisen haben ebenso die ganze Erde besiedelt, ihre Existenz stellt jedoch gar kein Problem dar. Warum? Weil Ameisen keinen Abfall produzieren. Im Gegenteil, sie sind wahre Experten in Sachen Recycling und Kreislaufwirtschaft. Was sie anfassen, wird wieder zu Nährstoff. Genial, oder?
Genau so sieht Cradle to Cradle auch die Rolle des Menschen. Es geht nicht darum, den negativen Fußabdruck zu minimieren. Nein, Ziel ist es, einen positiven Fußabdruck zu hinterlassen! Und zwar, indem in gesunden Kreisläufen gedacht wird und Rohstoffe als Nährstoffe verstanden werden. C2C ist ein Appell an die Intelligenz, an die Kreativität unserer Spezies.
Wie genau das aussehen könnte? Dafür wurde das Designkonzept erstellt.
Das Designkonzept
Das Designkonzept gibt konkrete Ansätze zur Herstellung von Gütern. Es fußt auf drei Säulen:
- Nährstoff bleibt Nährstoff
Alles wird zu Nahrung oder Nährstoffen für etwas anderes. - Nutzung erneuerbarer Energien:
Die Energie entspringt Sonne, Wind, Wasser und Erde. - Unterstützung von Diversität:
Es gibt eine schier unendliche Vielfalt.
Insbesondere die erste Säule finde ich spannend, denn Kernaussage ist: Es gibt keinen Müll! Alle Materialien zirkulieren in schier endlosen Kreisläufen. Das passiert dadurch, dass Rohstoffe im Recycling nicht an Qualität einbüsen und weiter verwendet werden können. Das erklärt auch den Namen “Cradle to Cradle” – “Von Wiege zu Wiege”. Materialien eines Produktes können verwendet werden, um ein neues Produkt hervorzubringen. Die Kehrseite wäre “Cradle to Grave” – “Von der Wiege zur Bahre”. Also in etwa das, was wir derzeit mit den meisten unserer Produkte machen.
Dabei werden zwei Kreisläufe unterschieden, welche wiederum Auswirkung auf den Einsatz der Materialien haben: die Biosphäre und die Technosphäre.
Die Biosphäre ist der biologische Kreislauf, also alles was irgendwie in der Natur landen könnte. Klassisches Beispiel ist Abrieb, z.B. von Autoreifen und Kleidung beim Waschen. Daher ist es nötig, solche Produkte aus gesunden und biologisch abbaubaren Materialien herzustellen.
Die Technosphäre ist der technische Kreislauf, das umfasst Teile von Produkten welche sich nicht abnutzen. Bei smartem Design können diese, nach Ableben des Produkts, direkt wieder entnommen und weiterverwendet werden.
Beim Design muss außerdem die Frage nach dem Nutzungsszenario gestellt werden, um zu verstehen, in welchem Kreislauf ein Produkt sich bewegt. Ergo, welche Anforderungen an die Materialien zu stellen sind. C2C kritisiert insbesondere die oft angepriesene Langlebigkeit. Diese muss bei C2C immer in Zusammenhang mit dem Nutzungsszenario zu sehen sein. Ein Negativbeispiel sind Autoreifen, welche mittlerweile sehr langlebig sind. Ihr Abrieb ist jedoch sehr fein und geht als Mikroplastik in die Biosphäre ein, wo Plastik natürlich gar nix verloren hat. Daher ist in diesem Beispiel die Langlebigkeit für die Natur ein Nachteil!
Apropos Material: Bei C2C gibt es keine “Frei von” Einstellung, wie man es so oft auf Verpackungen sieht: “Frei von Mikroplastik.”, “Frei von Parabenen.” oder “Frei von BPA”. Na klar sollten die Produkte die wir verwenden frei von Stoffen sein, die uns schaden! Wieso muss ich als Verbraucher da den Überblick behalten und mich im Laden durch die Inhaltsangaben wühlen? Deswegen definiert C2C Materialien, welche je nach Kreislauf bedenkenlos verwendet werden können. Wieder positiv statt negativ gedacht.
Wer hat’s erfunden?
Cradle to Cradle wurde erdacht und entwickelt von dem deutschen Chemiker Michael Braungart und dem amerikanischen Architekten William McDonough. Beide stellten sich unabhängig voneinander die Frage, wie es möglich ist, gesunde Räume und gesunde Produkte zu erstellen, ohne die Menschen zu vergiften und haufenweise Sondermüll zu produzieren. Als sie sich 1991 kennen lernten, sprudelten nur so die Ideen und heraus kam am Ende das C2C Prinzip. Gemeinsam schrieben sie das Buch Cradle to Cradle – Einfach intelligent produzieren.
Cradle to Cradle NGO
Cradle to Cradle NGO ist eine Organisation, welche es sich zur Mission gemacht hat, das C2C Konzept in die Welt zu tragen, zu bilden, und Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Politik und Zivilgesellschaft zu vernetzen. Dafür gibt es diverse Formate:
- den jährlichen C2C Kongress
- das C2C Lab in Berlin: das erste komplett nach C2C sanierte Gebäude, in welchem C2C greifbar wird
- der Lab Talk: ein spannendes Format mit interessanten Gästen, zu finden auf Youtube oder als Podcast
Mehr Infos findest du auf ihrer Website https://c2c.ngo/.
Cradle to Cradle Produkte
Jetzt fragst du dich natürlich, wo es sie denn gibt, diese perfekten cradligen Produkte? Das ist zugegebenermaßen nicht immer so einfach. Was hilft:
Nachdenken & Nachfragen:
Cradle to Cradle erfindet das Rad ja auch nicht neu, ganz im Gegenteil – das Prinzip hat Jahrhunderte lang gut funktioniert. Erst mit der industriellen Revolution wurde es schwierig. Mittlerweile sind wir umgeben mit Produkten die als Müll enden und obendrein auch Schadstoffe enthalten, nach denen keiner gefragt hat. Daher kannst du dir vor jedem Kauf überlegen:
- Wie nutze ich das Produkt?
- Hat es Abrieb, welcher am besten biologischer Natur sein sollte?
- Wie wird es am Ende entsorgt? Kann man es kompostieren oder recyceln?
- Wie wird es produziert?
- Für welche Werte tritt der Produzent ein?
Zugegebenermaßen nimmt die Recherche manchmal etwas Zeit in Anspruch. Das fällt erstmal schwer, sind wir es doch gewohnt, fix etwas online zu suchen und zwei Klicks später zu bestellen. Mir persönlich macht es jedoch Spaß, tolle Unternehmen und Produkte ausfindig zu machen. Bei Fragen sind insbesondere kleine Öko-Unternehmen immer auskunftsfreudig. Trau dich ruhig, nachzufragen!
Zertifizierung
Außerdem gibt es eine C2C Zertifizierung, welche das Cradle to Cradle Products Innovation Institute mit Sitz in San Francisco ausstellt. Dabei werden die folgenden Punkte analysiert und benotet, von Platin über Gold, Silber, Bronze zu Basic:
- Materialgesundheit
- Material Wiederverwertung
- Erneuerbare Energie
- Verantwortungsvoller Umgang mit Wasser
- Soziale Gerechtigkeit
Der niedrigste Erreichungsgrad der Kategorien ist dann auch gleich dem Erreichungsgrad des Produkts.
Unter https://www.c2ccertified.org findest du eine Übersicht der zertifizierten Produkte.
Bei einigen großen Unternehmen gibt es kleine C2C Kollektionen, so findest du z.B. bei C&A Cradle to Cradle-zertifizierte Jeans und T-SHirts, bei Calida zertifizierte Unterwäsche oder bei Stabilo zertifizierte Stifte. Es lohnt sich also, die Augen etwas offen zu halten!
Unbeauftragte & unbezahlte Werbung.
7 Gedanken zu „Cradle to Cradle – Kreislaufwirtschaft radikal gedacht“